Konzert vom 21. November 2004

Konzert vom 21. November 2004

im Stadtcasino Basel


Hundert Jahre und kein bisschen müde


Das Philharmonische Orchester Basel mit seinem Jubiläumskonzert


JÜRG ERNI


Nach dem Laienchor-Wochenende feierte das Philharmonische Orchester Basel sein 100-jähriges Bestehen im vollbesetzten Musiksaal. Dazu legte es den Vereinsmantel ab und nennt sich jetzt kühn nach Berliner Vorbild «Philharmonisches Orchester».


Die Reihen des Freizeitorchesters habei sich deutlich verjüngt. Und die Distanz zun Berufsorchester ist geringer geworden, spätestens seitdem der britische Dirigent Jonathan Brett Harrison, ein fabelhafter Orchestererzieher, das Heft in die Hand genommen hat und seinen Liebhabern zeigt, wie man sich in die erste Liga spielt. Orchestervereinspräsident Peter Heer und Regierungsrat Hans-Martin Tschudi richteten Grussworte und Glückwünsche an den 72-köpfigen Jubilaren. Danach hoben die jüngsten Philharmoniker als ihr Auftragswerk das viertelstündige Orchesterstück «Biotit» von Jost Meier aus der Taufe.


SCHLIFF. Ein Solitär, aus Eisenglimmer gewonnen und dreidimensional zur «Glimmer-Schiefertafel» geschliffen: Haupttöne reiben sich an kreisenden Nachbartönen. Glimmer und Glitzer blitzen auf und bilden oszillierende Klänge mittels «Clusters», Tontrauben, mit Blöcken und Klangschichten, die sich überlagern. Da hat ein Strahler für den Schliff seines Klangsteins aus dunklem Silikatmineral tief geschürft und aus dem Urgestein bedeutungsschwere Bilder gewonnen, die vom Hörer eine gehörige Portion an Vorstellungskraft abverlangen. Die Festbesucher nahmen das neue Werk beifällig auf.


Danach kehrte man zur Klassik zurück. Adrian Oetiker spielte den Solopart in Beethovens drittem Klavierkonzert so apart subtil wie kraftvoll zielstrebig. Der 36-jährige St. Galler, der an Basels Musikhochschule lehrt, ist ein Meister der klangfarblichen Schattierungen und der rhetorisch differenziert formulierten Kontraste von Hell und Dunkel, Piano und Forte, Akkordisch und Linear. Es ist eine Freude zu verfolgen, wie souverän er seinen Part gestaltet, zugriffig in der Kadenz des ersten Satzes, zärtlich in der Kantabilität des Largo und federnd leicht im Rondo. Das Orchester begleitete akkurat, subtil und rhythmisch sattelfest. Eine andere, filigrane Seite zeigte Oetiker in der Zugabe aus Debussys «Images».


SPIELLAUNE. Vollends in ihrem Element fühlten sich die Feierabend-Philharmoniker in Antonín Dvořáks achter Sinfonie, in der sonst von den Profiorchestern gepachteten, hochromantischen Sinfonik von der Moldau. Gewiss gelang da intonatorisch nicht alles lupenrein, etwa im Adagio bei den Trompeten oder im vierten Satz bei den Streichern. Aber ansteckend war die Spiellaune, die die Musikerinnen und Musiker in allen Registern versprühten und die das Publikum in ihren Bann zog. Jonathan Brett Harrison setzte klare Zeichen und führte das jubilierende Orchester sicher über die hohen Klippen der Partitur hinweg.


kultur.panorama. baz 23. November 2004 Seite 5



 

100 Jahre Basler Musikhistorie


JUBILÄUM / Das Philharmonische Orchester Basel überraschte mit einer Uraufführung und einem Solisten.


von Giselle Reimann


BASEL. Im Jahr 1904 wurde der Christliche Orchesterverein Basel gegründet, 1923 wurde er auf den Namen «Philharmonischer Orchesterverein Basel» umgetauft. Heute heisst das Amateurorchester «Philharmonisches Orchester Basel» und feiert sein 100-Jahr-Jubiläum mit einem abwechslungsreichen Programm.


Das Orchester sei ein Stück Basler Musikgeschichte, meinte Peter Heer, Präsident des Philharmonischen Orchestervereins Basel, in seiner Jubiläumsrede. Klassik und Romantik bildeten das Herz der Programme. Mehr und mehr würde sich das Orchester aber auch an neuere Werke heranwagen beispielsweise «Biotit» von Jost Meier, welches an diesem Abend uraufgeführt wurde. Bevor es aber so weit war, überbrachte der Basler Regierungsrat Hans Martin Tschudi der Jubilarin die Glückwünsche der Regierung und betonte, dass Laienformationen wie das Philharmonische Orchester viel zum Ruf Basels als Kulturstadt beitrügen, indem sie den Zugang zur Musik erleichtern und Hemmschwellen abbauten.


Das äusserst zahlreich erschienene Publikum konnte sich in der Folge selber davon überzeugen, dass die beiden Redner nicht in zu hohen Tönen gesprochen hatten: Mit «Biotit» als Einstieg wagte das Orchester quasi den Sprung ins kalte Wasser. Mit Engagement zeigten die rund sechzig Musikerinnen und Musiker, wie das Mineral «Biotit» in vertonter Form aussieht. Das Publikum hörte das Gestein glitzern, bersten, schiefem und hart aufschlagen. In regelmässigen Abständen kehrte die Musik zurück zu extrem ruhigen und breit gefassten, dünn instrumentalisierten Abschnitten – ein Hinweis auf die Zeitlosigkeit von Steinen?


Mit dem Klavierkonzert Nr.3 von Ludwig van Beethoven kehrte das Orchester zurück in heimischere Gefilde, nämlich die Klassik. Eine grosse Überraschung war der Schweizer Pianist Adrian Oetiker: Der Solist glänzte mit tadellosen Läufen und unermesslich gefühlvollen Adagio-Passagen und hatte das Publikum schnell auf seiner Seite. Zuweilen gab es leichte Verschiebungen zwischen Solist und Orchester, die Dirigent Jonathan Brett I Harrison aber gut auffangen konnte.


Zum Schluss setzte das Orchester noch einmal alle Energie für Antonín Dvořáks Sinfonie Nr.8 frei. Intonationsprobleme im ersten Satz wurden schnell korrigiert. Das Philharmonische Orchester war bis zum letzten Schlussakkord voll und ganz bei der Sache. Alles in allem geriet das Konzert etwas sehr lange, war aber aus der Sicht des Publikums ein voller Erfolg.